Positionspapier:
Zur
Frage einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen
Union
Beschlossen
vom Landesfachausschuß Sachsen in Europa der
CDU Sachsen am 22. Februar 2006
Die
Europäische Union ist nicht nur eine funktionale
Gemeinschaft, sondern eine auf einem gemeinsamen Fundament
wurzelnde Wertegemeinschaft. Den Kern der Europäischen
Gemeinschaft bilden Nationalstaaten, deren Völker sich
durch Kultur, Tradition, Mentalität und Geschichte so nahe
stehen, daß sie untereinander sich ähnlicher sind als den
mit der EU benachbarten Völkern. Nur so ist es möglich,
daß die Mitgliedstaaten Teile ihrer nationalen Souveränitätsrechte
europäischen Institutionen freiwillig übertragen.
Den
Kern dieser europäischen Wertegemeinschaft bildet die
christliche Prägung, die sich über eine 2000jährige
Entwicklung herausgebildet hat. Dieser Prägung entstammt
ein Politik-, Staats- und Institutionenverständnis, für
das die Trennung von Kirche und Staat ganz wesentlich ist.
Die unveräußerliche Würde des Einzelnen und damit ein
auf das Individuum konzentrierter Ansatz beruhen auf dem
christlichen Menschenbild.
Daher
stellt die Europäische Union als Wertegemeinschaft keine
Schablone dar, die sich von ihrem Fundament lösen ließe
und die gesondert exportierbar wäre.
Die
Türkei hingegen gehört zum islamischen Kulturkreis. Damit
wird sie grundlegend geprägt von einem integrierten Ansatz
für das Verhältnis von Staat und Religion, von Staat und
Gesellschaft und von Staat und Individuum. Die Besonderheit
der Türkei im vergangenen Jahrhundert besteht in dem
eigenen türkischen Weg des Kemalismus. Er bildet einen bis
heute wirkenden Reformprozeß, der von einer kleinen
westorientierten Elite getragen wurde. Kern dieses
Reformprozesses ist die Europäisierung der
Staatsstrukturen, aber nicht eine Europäisierung der
islamischen Gesellschaft der Türkei. In dieser islamischen
Gesellschaft wirken starke Kräfte, die in den letzten
Jahren verstärkt auch Einfluß auf die Regierungspolitik
nehmen, gegen den Reformprozeß der Kemalisten.
Eine
formal juristische Demokratisierung der Türkei, wie sie
die EU verlangt, hat dazu geführt, dass die Garanten einer
Westannäherung – vor allem in Militär und Verwaltung
– ihres Einflusses sukzessiv beraubt wurden und die
islamische Gesellschaft zu einer islamistischen Politik zurückkehrt.
Deshalb
geht es nicht um formale Anpassung der Türkei an Standards
der Europäischen Union, sondern vielmehr um die politische
Akzeptanz eines fundamentalen Unterschieds zwischen der
Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten auf der
einen und der Türkei auf der anderen Seite.
Diesen
fundamentalen Unterschied anzuerkennen, ist Grundlage für
eine ehrliche Partnerschaft – wie sie seit Jahrzehnten in
der NATO gepflegt wird. Den Kern dieser ehrlichen
Partnerschaft muß die Abkehr von der Beitrittsperspektive
der Türkei zur Europäischen Union bilden.
Die
Beibehaltung einer die grundlegenden Unterschiede zwischen
der Europäischen Union und der Türkei ignorierenden
Beitrittsperspektive würde im Fall ihrer Verwirklichung
nicht nur eine höchst problematische Bevölkerungsentwicklung
in der Europäischen Union, sondern auch eine vollständige
Überlastung der Sozialsysteme und der Transfersysteme der
Europäischen Union mit sich bringen. Der Charakter der
Europäischen Union würde sich wandeln und sie zu einer
reinen Freihandelszone ohne gemeinsames Wertefundament
degradiert werden.
Eine
enge Partnerschaft zwischen Europa und der Türkei als
guten Nachbarn und zuverlässigen Verbündeten muß
hingegen die grundlegenden Unterschiede respektieren. Nur
so können gemeinsame Interessen in einer wirtschaftlichen
Zusammenarbeit – im Rahmen der bereits existierenden
Zollunion – und in einer politischen und
Verteidigungszusammenarbeit vertreten werden.
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